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Sehr ausführlich zu technischen und regulatorischen Grundlagen.
21. Oktober 2024
Martin Ebers/Benedikt M. Quarch (Hrg.), Rechtshandbuch ChatGPT - KI-basierte Sprachmodelle in der Praxis, Nomos Verlag, Baden-Baden 2024, 69,00 €.
Der Titel eines Rechtshandbuches für ChatGPT legt die Erwartungen ziemlich hoch. Es geht um KI-basierte Sprachmodelle in der Praxis in der gelben Reihe "Nomos Praxis", die sich dadurch auszeichnet, dass zu einzelnen Rechtsgebieten recht früh Informationen gegeben werden, auch wenn noch vieles in Bewegung ist. So ist das auch hier.
Die Stärke liegt in einem sehr ausführlichen ersten Teil zu technischen und regulatorischen Grundlagen. Die KI-Modelle werden beschrieben, die Arbeitsweisen so erläutert, dass man dahinter kommt, dass das ganz viel Mathematik und weniger mystisches Hexenzeug ist - anspruchsvoll ist die Lektüre auf jeden Fall. Zu ChatGPT-4 aus dem Jahr 2023 heißt es, dass die spezifischen Details der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Während OpenAI mit dem Ziel gegründet wurde, offene Wissenschaft zu betreiben, sei die Firma in den letzten Jahren immer weniger transparent geworden. Insbesondere bei GPT-4 sei weitgehend unbekannt, wie das Modell funktioniert und auf welche Daten es trainiert wurde. Die Autoren treten den Behauptungen entgegen, die Modelle würden zu einer "Superintelligenz" - nichts dergleichen: "Sie sind auch nicht annähernd so etwas wie eine hypothetische künstliche allgemeine Intelligenz. Im Grunde genommen tun sie nichts anderes, als eine hochdimensionale (bedingte) Wahrscheinlichkeitsverteilung von Token in einem noch nie da gewesenen Umfang zu lernen." Oder: Es ist Statistik, ganz viel Statistik und nur dank der Rechenleistung möglich.
Die Vorgaben der Europäischen KI-Verordnung werden dargestellt. Das ist gut gelungen, sehr kompakt und systematisch. Die mit KI erzeugten Bild-, Ton- und Videoinhalte sowie KI-generierten Nachrichtentexte (Art. 50 KI-VO) werden kurz genannt.
In einem zweiten Teil geht es um verschiedene Rechtsgebiete. Das Urheberrecht steht am Anfang. Zutreffend wird die Auffassung geäußert, dass ein durch die Maschine erzeugtes Ergebnis regelmäßig keinen Schutz durch das Urheberrecht hat, da dieses eine persönlich geistige Schöpfung eines Menschen voraussetzt. Welche anderen Schutzmöglichkeiten - etwa durch ein Leistungsschutzrecht - zukünftig in Frage kommen, werden kurz angebunden. Die Urheberrechtsschranke des Text- und Data-Minings wird für das Lernen von KI-Systemen erwähnt, mit all den darin enthaltenen Rechtsunsicherheiten; aktuell geht die Initiative Urheberrecht einen Schritt weiter und leugnet, dass diese Regeln für generative AI gedacht worden seien, ein weiterer Streitpunkt also. Hingewiesen wird darauf, dass Urheberrechtsverletzungen dann bestehen können, wenn ein Output einem bereits existierenden Werk gleicht - diese Problematik wird in der für die Praxis notwendigen Kürze verständlich dargestellt.
Das Medienrecht befasst sich mit ethischen und rechtlichen (Urheberrecht, Verantwortung für Inhalte) Fragen und steht damit zwischen dem bereits vorgestellten urheberrechtlichen Teil des Werkes und den nachfolgenden allgemeinen Ausführungen zum Haftungsrecht auch jenseits der Medien. Der medienrechtliche Teil beinhaltet wenig Neues und beantwortet vor allem nicht die Frage, wie sich medienrechtliche Vorschriften in Deutschland mit den möglicherweise abschließenden Vorgaben in Art. 50 KI-VO verhalten.
Andere besprochene Rechtsgebiete sind der Datenschutz, das Verbraucherrecht, das Lauterkeitsrecht, das Recht der Sicherheit und das Strafrecht. Hinzu kommt das "Nicht-Diskriminierungsrecht", einem interessanten Abschnitt der Darstellung, bei dem auf die mögliche Einsichtigkeit und damit diskriminierende Wirkung in der Funktionsweise und dem Output von KI-Modellen hingewiesen wird.
Im dritten Teil des Werkes geht es um Anwendungsfelder. Positiv hervorzuheben ist der Teil über das Prompting, auch wenn es um ein juristisches Beispiel geht - man kann das eins zu eins auch auf journalistische Anwendungsfälle beziehen. Der Autor hat einen komplizierten Text genommen, vorliegend das Urteil des Bundesarbeitsgerichts über Arbeitserfassung, das von vielen Juristen als komplex in der Gedankenführung und im Ergebnis überraschend wahrgenommen wird. Der Autor dieses Teils unseres Rechtshandbuches lässt ChatGPT und Claude gegeneinander antreten und stellt verschiedene Aufgaben, die Entscheidung unter bestimmten Aspekten zusammenfassen - mal lang, mal kurz. Die Ergebnisse sind jeweils erstaunlich gut. Dennoch: Geht es um Details, soll der Mensch das KI-Ergebnis nur als Anregung nehmen und nachlesen. "Denn im Zweifel übersieht so ein Chatbot doch feine Nuancen, Doppeldeutigkeiten und rechtsdogmatische Preziosen von sprachlich sehr elaborierten und stringenten Entscheidungsbegründungen oder kennt die Großzusammenhänge oder tatsächliche Praxis nicht". Das beschreibt mit hinterlistiger Ironie, dass man sich zweimal überlegen muss, ob man vor der Verwendung eines Outputs für die eigene Arbeit lieber doch noch einmal nachschaut. Wobei sicherlich das Ziel, den Text in juristischer Dogmatik von nicht unbedeutender Stringenz verwenden zu wollen möglicherweise andere Sorgfaltspflichten an den Nutzer stellt im Vergleich zu einer nachrechtlichen Zusammenfassung für 40 Sekunden im Radio im lockeren Sprech.
Die übrigen Anwendungsfelder umfassen dann doch sehr das juristische Gewerbe der Anwälte, der Prozessführung, der Entscheidungsfindung, der Notariate, der arbeitsrechtlichen Praxis, der Steuern und des Medizinrechts.
Release 21. Oktober 2024, 15:56 - OR